An(ge)dacht
Zu Hause bei Gott
„Das ist aber wirklich schade, Herr Pfarrer! Früher haben wir uns gerade im Gottesdienst gestärkt, wenn die Zeiten schwer waren! Jetzt fallen die Gottesdienste aus! Dabei bräuchten wir doch gerade jetzt das gemeinsame Gebet.“
Ähnlich klingende Sätze wurden nicht selten in den letzten Wochen an mich herangetragen. Und ich kann sie gut verstehen, diese Gedanken: Die gemeinsame Gottesdienstfeier wurde untersagt. Dieses gemeinsame Fundament wurde uns als Gemeinschaft der Gläubigen in den letzten Wochen genommen. In der Bundesrepublik ist dies ein bedeutender Eingriff in die Religionsfreiheit ebenso wie in meine ganz persönliche Freiheit, meine Spiritualität mit anderen Menschen sonntags im Gottesdienst zu teilen. Nun sind die Gottesdienste nicht Teil der ersten Lockerungen im gesellschaftlichen Leben und stehen vermeintlich im Schatten der wiedergeöffneten Geschäfte.
Seitens der Kirche wurde und wird das Ausbleiben von Gottesdiensten als Akt der Nächstenliebe respektiert und unterstützt. Auch ich denke, dass es ein unumgänglicher Weg ist. Und trotzdem freue ich mich, endlich wieder gemeinsam mit Ihnen Gottesdienst zu feiern. So verfolge ich mit Spannung den begonnenen Abwägungsprozess zwischen den eigenen und religiösen Freiheiten einerseits und der Sicherheit und Fürsorge für besonders gefährdete Menschen andererseits.
Ich habe in den letzten Wochen etwas (erneut) gelernt. Etwas, was ich auch vorher schon wusste, es aber in diesen Wochen ganz neu erfahren habe: Auch, wenn keine Gottesdienste im klassischen Sinn stattfinden, die gute Botschaft Gottes sucht sich ihren eigenen Weg!
In Kirchenliedern, die Menschen plötzlich abends bei offenem Fenster singen, in verteilten Gebeten für zu Hause, im täglichen Lesen der Tageslosung, in Telefonaten, Briefen, Emails, Gottesdienste im Fernsehen, in Zeitungen, in Videos aus unseren Kirchen, usw. … In all diesen Versuchen, miteinander und mit Gott in Kontakt zu bleiben, zeigt sich: Gottes Wort ist nicht beschränkt auf den Sonntagmorgen in der Kirche.
Die gute Botschaft von Jesus Christus hat ein tieferes, festeres Fundament. Ein Fundament, das zwar im Gottesdienst seinen feierlichen, gemeinschaftlichen Ausdruck findet, aber weit darüber hinaus trägt und berührt, tröstet und hält.
Der heutige Sonntag trägt das Thema „Gott ist unser guter Hirte“. Zu diesem Sonntag gehört traditionell der Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln…“ Ich finde in diesem Psalm besonders die letzten Worte ganz wunderbar: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“
Gottes Haus ist „immerdar“, auch, wenn wir uns nicht gemeinsam im Haus Gottes versammeln. Gottes Haus kann nicht von uns, von einer Regierung, oder aufgrund einer Krankheit geschlossen werden. Seit Ostern lebt die Hoffnung in dieser Welt, dass auch der Tod Gottes Haus für uns nicht verschließen kann. Dabei finde ich wichtig: Die Worte des Psalms fordern uns nicht auf, hin zu Gottes Haus aufzubrechen und sich auf den Weg zum guten Hirten zu machen. Stattdessen: „…ich werde bleiben“ im Hause des Herrn immerdar.“ Wir sind bereits beim guten Hirten und dürfen dort auch bleiben.
Die Adresse von Gottes Haus lautet jeweils wie unsere eigene Adresse. Einige von uns haben es sich in diesem Haus, um im Bild des Psalms 23 zu bleiben, neu „eingerichtet“ oder man könnte auch sagen „neue Zimmertüren aufgemacht“: die persönliche Andacht zu Hause, der Fernsehgottesdienst vom Sofa aus, das Anzünden der Kerze im Zusammenklang mit den Glocken – ein Ausdruck unserer Spiritualität, den wir sonst vielleicht weniger im Blick haben und neu entdeckt haben.
Vielen von uns gefällt der „neu eingerichtete Platz“ aber nur bedingt. Auch ich freue mich schon darauf, den Psalm 23 wieder miteinander im Gottesdienst zu beten. Oder Worte daraus am Schluss des Abendmahls zu hören, sie in das Herz einzuschließen und wie einen Schatz mit nach Hause zu nehmen. So kann man die Worte, aber auch die Gemeinschaft mit nach Hause nehmen und nachklingen lassen. Aber das Versprechen des guten Hirten, für uns zu sorgen, gilt „immerdar“. Auch, wenn wir uns nicht auf den Weg zum gemeinsamen Gottesdienst machen können, der gute Hirte ist mit seinem Stecken und Stab bei uns, um uns zu trösten, um uns im finsteren Tal zu begleiten und unsere Seele zu erquicken.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.
Ihr Pfr. Christian Hilsberg