Nebenan und doch ganz weit weg
„Seid ihr bereit, diesen Menschen eine Gemeinde zu sein, in der Gottes Liebe spürbar wird? So antwortet: Ja, mit Gottes Hilfe.“
Das habe ich bei der Taufe einer geflüchteten Familie aus dem Iran zugesagt und es hat mich berührt. Auch meine Mutter ist als Mädchen geflohen so wie das Mädchen der Familie hier. Und sie hat doch auch ein Recht auf eine schöne Kindheit. Oder soll sie in 70 Jahren immer noch so unter ihrer Flucht leiden wie meine Mutter heute? So oder ähnlich ging es mir durch den Kopf, als die Pfarrerin den Taufspruch des Vaters vorlas: „Berge können von der Stelle weichen und Hügel ins Wanken geraten. Aber meine Liebe weicht nicht von Dir und mein Friedensbund wankt nicht. Das sagt der Herr, der Erbarmen mit Dir hat.“
Und wieder hat es mich berührt. Diese unerschütterliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die darin zum Ausdruck kommt! In diesen Tagen hat das Auswärtige Amt den im Iran lebenden Deutschen empfohlen, das Land zu verlassen. Die Familie hat dies vor 3 ½ Jahren gemacht. Weil sie Christen waren und dabei „erwischt“ wurden. Dann Türkei, ein halbes Jahr Griechenland und jetzt seit 1 ½ Jahren in Deutschland. Jetzt sind sie als Flüchtlinge anerkannt und müssen die „Linde“ verlassen. Aber wohin? Wie ist es, wenn man sechs Jahre alt ist und die letzten 3 ½ Jahre kein dauerhaftes Zuhause hatte?
Das Jobcenter zahlt eine Miete und stellt Bedingungen wie groß und wie teuer. Dabei darf die Wohnung ungefähr die Hälfte kosten, wie die Unterkunft in der Linde. Suchen müssen sie allein. Der Vater schickte mir ein Gebot für eine günstige Wohnung in Seeheim. Aber nach näherem Hinsehen stand die schon 22 Stunden im Internet, war 1167 mal aufgerufen worden. 42 Bewerbungen waren dort eingegangen. Ich suchte ein schönes orientalisches Briefpapier aus und schrieb einen netten Bittbrief an den Eigentümer, den ich ausfindig gemacht hatte. Keine Reaktion. Eine leerstehende Wohnung in Jugenheim mit 5 Zimmern darf nur an zwei bis drei erwachsene Mieter vergeben werden, sagt der Makler. Das findet der iranische Vater unverständlich. Soll er zwei seiner vier Kinder verkaufen, fragt er mich?
Mittlerweile bin ich gern gesehener Gast in der Linde. Die sechsköpfige Familie bewohnt zwei Apartments, die eigentlich für Senioren vorgesehen waren. Jedes hat eine Nasszelle und ca. 20 m² Wohnfläche. Für die 150 Bewohner gibt es eine Gemeinschaftsküche. Die Familie hat sogar einen Balkon. Dort werden der Kinderwagen, der Wäscheständer, Kartoffeln und Nüsse o.Ä. gelagert.
Sind wir eine Gemeinde, in der Gottes Liebe spürbar wird?
Sibylle Kaether, Tel.: 1469 bzw. geniusloci@t-online.de (für diejenigen, die von einer Wohnung für diese Familie wissen.)