An(ge)dacht
Liebe Menschen im Gemeindenetz,
seit Anfang März treffen wir uns in den Gemeinden der Nördlichen Bergstraße zu Friedensgebeten. Wir treffen uns, weil viele das Gefühl haben, es ist das, was uns verbindet, was uns hilft und stärkt angesichts der unfassbaren Bilder. Die Zeitungen, social media, Nachrichten, unsere Gedanken, alles wird dominiert von einem Krieg, den bis auf wenige niemand wollte. Und den bis auf wenige niemand beenden kann.
In Jugenheim singen wir zum Friedensgebet das Lied „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“ (EG 430).
Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf. Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf. Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt. Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.
Gib Frieden, Herr, wir bitten! Die Erde wartet sehr. Es wird so viel gelitten, die Furcht wächst mehr und mehr. Die Horizonte grollen, der Glaube spinnt sich ein. Hilf, wenn wir weichen wollen, und lass uns nicht allein.
Gib Frieden, Herr, wir bitten! Du selbst bist, was uns fehlt. Du hast für uns gelitten, hast unsern Streit erwählt, damit wir leben könnten, in Ängsten und doch frei, und jedem Freude gönnten, wie feind er uns auch sei.
Gib Frieden, Herr, gib Frieden: Denn trotzig und verzagt hat sich das Herz geschieden von dem, was Liebe sagt! Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt, und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt.
Für mich passen diese Strophen gut zu dem, was gerade passiert: Ein Angriffskrieg wird von Putin begonnen. Er lügt über Wochen in den vielen Versuchen, ihn durch Diplomatie zum Einlenken zu bewegen. Er ist klar der Stärkere, auch wenn sich das ukrainische Volk von diesem übermächtigen Aggressor nicht unterkriegen lässt.
Aber auch in anderen Punkten halte ich das Lied für eines, das wir uns für diese Zeit und Diskussionen zu Herzen nehmen sollten, auch in den Debatten, die folgen werden: Wenn die Horizonte grollen, zieht sich der Glaube in oder auf sich selbst zurück. Gefühlt bleiben uns Friedensgebete, um die Menschen in den Kriegsgebieten der Welt zu unterstützen. Worte, die für Frieden beten, die den Menschen dort Kraft geben sollen und können. Uns stellt der Glaube aber auch die Aufgabe: Sieh den Menschen an, auch hinter einem Handeln, das du verachtest. Der Politiker Putin, der diese Entscheidungen in ihrer Hauptsache zu entscheiden hat, ist ein Mensch, der wie wir alle (!) auf Versöhnung und Vergebung angewiesen ist, der Freude und der Gottes Aufmerksamkeit verdient und zugesagt bekommt. Das ist eine Aufgabe, die ganz und gar nicht zum Einigeln und Zurückziehen ist. Es ist eine Aufforderung in den Kontakt zu gehen zu anderen und sie immer als Menschen anzusehen.
Wir singen in diesem Lied auch: Obwohl Gott durch Jesus Christus sich mitten in den Streit in dieser Welt eingeschaltet hat (gerade ist noch Passionszeit!), fehlt es uns an Gott doch gerade in diesen Situationen besonders. Wir spüren, wo wir Gott vermissen in dieser weltpolitischen Lage. Das Lied spricht im Konjunktiv: weil du, Gott, da gewesen bist, könnten wir (in Ängsten und doch) frei leben. Wir tun es aber nicht. Was wir brauchen, ist der Mut zum Händereichen zur Vergebung. Aber auch zur Rede, die nicht lügt.
Auch unser Land und unsere Kirche sind durch diesen Angriff damit konfrontiert, dass die Friedenspolitik der letzten Jahrzehnte von Grund auf neu gedacht werden muss. Das meint auch, dass wir uns darüber unterhalten, diskutieren und streiten müssen, wohin es gehen soll zum Beispiel mit dem so schnell aufgestellten Sonderhaushalt für die Bundeswehr. Es ist unsere Aufgabe, einen neuen Weg zu finden. Die demokratischen Strukturen, die Zivilgesellschaft, die Kirchen müssen mitarbeiten, bei der Frage wie eine Bundeswehr aufgestellt werden kann, die dem Frieden dient und die Demokratie verteidigt und die Zusage unseres Gottes nicht einigelt, sondern in diese Debatten mitnimmt.
Ihre Pfarrerin Miriam Fleischhacker