An(ge)dacht – Gedanken zum Monatsspruch
Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. (Apg 17,27)
„Jetzt hört auf euch so einen Kopf zu machen! Ich bin ja keine 10 mehr!“ Emma ist 14. Sie steht mit ihren Eltern am Bahnsteig. Wie auch die letzten 6 Jahr verbringt sie die Herbstferien bei ihrer Oma in Stuttgart. Anders ist: Dieses Jahr fährt sie zum ersten Mal alleine mit dem Zug dorthin.
„Hast du dein Handy aufgeladen? Hast du die Nummer von Oma eingespeichert?“ Der Lärm des einfahrenden Zuges macht der nervtötenden Fragerei der Eltern ein Ende. Emma gibt ihren Eltern flüchtig einen Kuss und wendet sich voller Vorfreude dem Zug zu. Kurz bevor sie einsteigt, drückt ihre Mutter ihr noch schnell einen Zettel in die Hand. „Hier, falls doch noch irgendetwas ist.“ Emma knüllt den Zettel augenrollend zusammen und steckt ihn in die Hosentasche.
Im Zug. Eigentlich kennt Emma das alles. Aber allein ist es doch anders, ihre Schritte werden langsamer. Wagen 3, Platz 50. „Entschuldigung, sie sitzen auf meinem Platz!“ „Hää?“, der Mann auf Platz 50 schaut über seinen Laptop und lüftet kurz den Kopfhörer. „Mädchen, kannst du dir nicht einen anderen Platz suchen?“ „Ja gut“, kommt es kleinlaut von Emma. Ihre Selbstsicherheit schwindet von Sekunde zu Sekunde. Sie geht ein paar Schritte rückwärts, stolpert über ein Bein. „Kannst du nicht aufpassen?“ Jetzt ist ihr Mut endgültig dahin. Emma sucht sich einen freien Platz, wirft ihren Rucksack in die Ecke. Was um alles in der Welt macht sie hier? Am liebsten würde sie im Stuhl versinken. Erste Tränen stehen ihr in den Augen. Sie fingert in ihren Taschen nach einem Taschentuch. Plötzlich hält sie den zusammengeknüllten Zettel von ihrer Mutter in den Händen, faltet ihn auf: Liebe Emma, wenn du mich brauchst, ich sitze im letzten Wagen.
„Gott ist nicht ferne einem jeden unter uns.“ – wie die Mutter in der Geschichte. Gott verhindert nicht jedes Unwohlsein oder Stolpern. Gott lässt uns einfach erstmal machen. Aber Gott bleibt in der Nähe.
Einen gesegneten Sommer wünscht Ihnen,
Ihr Pfr. Christian Hilsberg