An(ge)dacht
Vor 75 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer von den Nazis umgebracht
Corona beherrscht die persönliche wie die weltweite Aufmerksamkeit. Es verdrängt gerade alle anderen Probleme und fast alle anderen Themen – auch das Gedenken an den Widerstand gegen Hitler.
Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, genau einen Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wurden die letzten Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus umgebracht – unter Ihnen war Dietrich Bonhoeffer.
Das Gedenken an diesen Widerstand darf auch durch das Corona-Virus nicht erstickt werden.
Dietrich Bonhoeffer, geboren am 4. Februar 1906, war Theologe und Pfarrer. Es war für ihn eine große Gewissenfrage, ob man als Christ an einem Attentat mitwirken darf. Das Gebot lautete bekanntlich: Du sollst nicht töten. Glauben aber war für D. Bonhoeffer etwas Diesseitiges, Kirche war für ihn nur Kirche, wenn sie für andere da ist; Glauben hieß für ihn, nicht mehr die eigenen Leiden wahrzunehmen, sondern die der anderen. Für ihn waren sie die Leiden Gottes in der Welt. „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Und wenn das staatliche Handeln so unerträglich und unmenschlich wird, dann reicht es nicht, „die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dann muss man dem Rad in die Speichen fallen.“ Das hieß für ihn im April 1933, „man muss zum Widerstand, ja, im äußersten Fall zum gewaltsamen Widerstand bereit sein.“
Bonhoeffer wollte kein Widerstandskämpfer werden. Aber die Verfolgung der Juden stellte, so sah er das, die Kirche vor die Gottesfrage, in der sich entschied, ob sie überhaupt noch Kirche war.
Am Tag nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 schrieb er in einem Brief aus der Haft: „Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen Gerechten dann wird man ein Mensch, ein Christ.“
Am 5. April 1943 wurde er verhaftet, wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ angeklagt und zunächst in der Militäranstalt Berlin-Tegel, dann Anfang Oktober 1944 in den Gestapo-Keller in der Prinz-Albrecht-Straße und schließlich im Februar 1945 ins Konzentrationslager Flossenbürg gebracht.
Dort wurde er am 8. April 1945 zum Tode verurteilt – zusammen mit anderen Beteiligten am Umsturzversuch im Juli 1944. Am 9. April wurden sie hingerichtet.
Gemeinsam war ihnen die Ablehnung von Totalitarismus, Rassenwahn und Menschenverachtung. Ihnen allen ist unser Grundgesetz gewidmet, in dem als Lehre aus diesem unfaßbaren Verbrechen am Anfang steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Rehabilitiert und von dem Terrorurteil des „Landesverrates“ freigesprochen wurde Bonhoeffer erst im Juli 1996, also mehr als 50 Jahre nach seinem Tod, seiner Ermordung.
Manchmal denke ich, dass es nur wenige Tage gewesen wären und dieser Mann, der Glaube so radikal gedacht hat, so weltzugewandt, so von mitten im Leben her, er wäre am Leben geblieben. Ach wie sehr brauchen wir seine Gedanken heute, Gedanken von einem Christus in dieser Welt und einer weltweit verbundenen offenen Kirche, die für Menschen da ist, die Not leiden. Wie sehr brauchen wir seine Friedensliebe und sein Eintreten für jüdische Menschen.
Im Evangelischen Gesangbuch ist neben der Liednummer 525 ein Teil seiner Glaubenssätze abgedruckt, die mich immer wieder tief anrühren, aber auch herausfordern.
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste
alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Joachim Dietermann