An(ge)dacht
22. März 2020 – Lätare
In diesen Tagen muss ich des öfteren zurückdenken an die Zeit, in der ich wegen der Behandlung meiner Leukämie-Erkrankung ca. 6 Wochen in einem besonders keimfreien Raum verbringen musste. Ich durfte in dieser Zeit den Raum nicht verlassen. Noch nicht einmal das Essen machte mir Freude, weil ich für einige Zeit meinen Geschmackssinn komplett verloren hatte.
Wenn ich mich in diesen Tagen daran zurückerinnere, kommen mir die Einschränkungen im Zusammenhang der Corona-Maßnahmen gar nicht mehr so schlimm vor. Vieles ist mir jetzt möglich, was damals unvorstellbar gewesen wäre: Ich darf zu Hause in meiner gewohnten Umgebung sein. Ich bin bei Kräften, muss nicht das Bett hüten und kann die Zeit in vielfältiger Weise nutzen. Ich genieße mein Essen, das ich nun schon lange wieder richtig schmecke. Ja, ich kann sogar nach draußen gehen – wenn ich die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einhalte (Abstand halten, Hände waschen … na, Sie wissen schon). Und draußen entwickelt sich gerade der Frühling mit seiner Blütenpracht. Wie schön!
Es wird mir dabei besonders bewusst, wie sehr es auf meine Sichtweise ankommt. Ist das Glas nun halb leer oder halb voll? Und ich versuche ganz bewusst, die Dinge wahrzunehmen, die mein Leben reich machen und mir Erfüllung schenken. Und ich staune, wie kreativ viele Menschen in diesen Tagen mit den geänderten Lebensumständen umzugehen wissen.
Der heutige Sonntag trägt im kirchlichen Kalender den Namen „Laetare“, zu deutsch „Freue dich!“ Sein Thema ist die Freude. Merkwürdig: Auf dem halben Wege durch die Fastenzeit heißt es: Freue dich!
Wie kommt denn das?
Mitten in der Passionszeit, einer Zeit der schweren Themen und der Entbehrung, erinnert der Sonntag Lätare an die Freude angesichts der bevorstehenden Erlösung. Wie einst Moses aus der Ferne das Gelobte Land erblickt, so sieht der Christ von Laetare aus auf das Osterfest. Und weil Ostern schon in Sichtweite ist, darf man sich auch schon ein wenig freuen auf das, was nach der Passionszeit und dem Karfreitag folgt.
Durch den heutigen Sonntag dürfen wir uns daher vergewissern lassen, dass nicht Leid und Tod das letzte Wort über uns haben. Auch die Corona-Krise, die derzeit so viel Aufmerksamkeit beansprucht, wird irgendwann vorüber sein. Und es tut gut, wenn unser Blick von steigenden Ansteckungszahlen und immer neuen (notwendigen) Einschränkungen hingelenkt wird auf die kommende Osterfreude.
Und so kann dieser Sonntag uns daran erinnern, dass es durchaus Anlass zur Freude gibt – auch in diesen Corona-Zeiten. Er ermuntert uns, achtsam darüber nachzudenken, was uns alles bleibt und möglich ist trotz vieler Einschränkungen in diesen Tagen und Wochen.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen der Blick auf das „halbvolle Glas“ gelingt, dass Sie dadurch immer wieder neue Freude erleben und Phantasie und Kraft zur Bewältigung eines ziemlich veränderten Alltags finden.
Kommen Sie gut durch die neue Woche!
Ihr Pfarrer Hans-Peter Rabenau